Kommunitarismus

Kommunitarismus
Kom|mu|ni|ta|rịs|mus 〈m.; -; unz.〉 (in den 1980er Jahren in den USA entstandene) sozialphilosophische Strömung, die den Egoismus des Einzelnen in der Gesellschaft zurückweist u. für eine Stärkung gemeinsamer Werte als Grundlage für eine gerechtere politische Ordnung eintritt ● die Idee des \Kommunitarismus hat in den USA die stärkste Wirkung entfaltet [<engl. communitarism, zu community, <lat. communitas „Gemeinschaft“]

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Kom|mu|ni|ta|rịs|mus, der; - [engl. communitarism, zu: communitarian = Mitglied einer Gemeinschaft mit sozialistisch-kommunistischer Zielsetzung (wie sie im 19. Jh. in Großbritannien häufig gegründet wurden)] (Philos., Politik):
gesellschaftspolitische Strömung, die bes. Gemeinsinn u. soziale Tugenden in den Vordergrund stellt u. eine am Gemeinwohl orientierte Erneuerung gesellschaftlicher Institutionen jenseits liberaler u. staatlicher Programme anstrebt.
Dazu:
Kom|mu|ni|ta|rịst, der; -en, -en;
Kom|mu|ni|ta|rịs|tin, die; -, -nen;
kom|mu|ni|ta|rịs|tisch <Adj.>.

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Kommunitarịsmus
 
[zu englisch community »Gemeinschaft«, »Gemeinwesen«] der, -, Politikwissenschaft und Soziologie: Bezeichnung für in den USA entstandene Theorieansätze in der politischen Philosophie und der Soziologie, die die Bedeutung des Begriffs der Gemeinschaft bei der Analyse und Kritik moderner Gesellschaften hervorheben.
 
In der politischen Philosophie hat sich der Kommunitarismus aus einer Kritik des Liberalismus entwickelt. Im Zentrum kommunitaristischer Theorien steht die Betonung der Einbettung von Individuen, Rechten, Normen und Institutionen in Gemeinschaften verschiedener Art, von der Familie bis zur politischen beziehungsweise kulturellen Gemeinschaft. In der Kontroverse zwischen Liberalismus und Kommunitarismus geht es besonders um die Definition des Begriffs der Person, der einer Theorie politischer und sozialer Gerechtigkeit zugrunde liegen sollte: als gemeinschaftlich konstituiertes Wesen oder als »atomistisches« Individuum, wie dem Liberalismus vorgeworfen wird. Diskutiert wird auch, ob Gerechtigkeits- und Rechtsprinzipien »neutral« gegenüber Vorstellungen des guten und wertvollen Lebens begründet und verwirklicht werden können, was der Kommunitarismus bestreitet. Er betont, dass eine demokratische politische Gemeinschaft ein hohes Maß an von allen geteilten und getragenen ethischen Werten benötigt, um lebensfähig zu sein und die Bürger zu politischer Partizipation und sozialer Solidarität zu motivieren.
 
Innerhalb der Soziologie findet sich der Kommunitarismus als Analyse und Kritik an der fortschreitenden Individualisierung moderner, pluralistischer Gesellschaften, v. a. an dem damit einhergehenden Gemeinschaftsverlust und der Entwertung traditioneller und solidarischer Lebensformen. Mit der Zunahme geographischer, sozialer und politischer Mobilität und der (zunehmenden) Auflösung der Familie verringert sich das Maß an sozialer Orientierung und Kohäsion, das dem Kommunitarismus zufolge notwendig ist, um Individuen ein sinnvolles und an Werten ausgerichtetes Leben zu ermöglichen. Besonders die Arbeiten von Robert Nelly Bellah (* 1927) sind für diese Sozialdiagnose - auf die Gesellschaft der USA bezogen - kennzeichnend: Sie beklagen eine Verarmung der moralischen Ressourcen des privaten und öffentlichen Lebens und eine Zunahme materialistischer und individualistischer Einstellungen auf Kosten der religiösen und republikanischen Traditionen.
 
Seit der Mitte der 1980er-Jahre hat sich innerhalb der USA eine politische Bewegung des Kommunitarismus gebildet, die verstärkt auch in Europa Anhänger findet. Die maßgeblich von A. Etzioni ins Leben gerufene Initiative sieht sich als parteiübergreifender Versuch einer auf das Gemeinwohl gerichteten Erneuerung gesellschaftlicher Institutionen jenseits liberaler und staatlich verfügter Programme. Ihre Ziele reichen von der Stärkung der Familie und der Wertevermittlung an Schulen über die Revitalisierung kommunalen Lebens und demokratische Mitbestimmung bis zur Reform des als ineffizient kritisierten Wohlfahrtsstaats. Kommunale Selbsthilfe und Gemeinsinn sollen die Verantwortung der Einzelnen für die Gesellschaft fördern und das »Übermaß« individueller Rechtsansprüche an den Staat sowie den politischen Einfluss privater und wirtschaftlicher Interessen reduzieren.
 
 
Gemeinschaft u. Gerechtigkeit, hg. v. M. Brumlik u. H. Brunkhorst (1993);
 R. Forst: Kontexte der Gerechtigkeit. Polit. Philosophie jenseits von Liberalismus u. K. (1994);
 
K. in der Diskussion. Eine streitbare Einf., hg. v. C. Zahlmann (Neuausg. 1994);
 M. Walzer: Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität u. Gleichheit (a. d. Engl., Neuausg. 1994);
 
K. Eine Debatte über die moral. Grundl. moderner Gesellschaften, hg. v. A. Honneth (31995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Kommunitarismus: Politische Philosophie zwischen Tradition und Universalismus
 

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Kom|mu|ni|ta|rịs|mus, der; - [engl. communitarism, zu: communitarian = Mitglied einer Gemeinschaft mit sozialistisch-kommunistischer Zielsetzung (wie sie im 19. Jh. in Großbritannien häufig gegründet wurden)]: (von den USA ausgehende u. auf bestimmten philosophischen u. soziologischen Theorien beruhende) politische Bewegung, die bes. Gemeinsinn u. soziale Tugenden in den Vordergrund stellt u. eine gemeinwohlorientierte Erneuerung gesellschaftlicher Institutionen jenseits liberaler u. staatlicher Programme anstrebt.

Universal-Lexikon. 2012.

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